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Eigenarten der Musikindustrie

Im folgenden einige Tatsachen und Eigenheiten im Zusammenhang mit der Musik­industrie. Dass diese Fakten teilweise eher als Nachteil oder mit kritischem Ton gesetzt sind, ist kein Zufall, sondern die logische Konsequenz ebendieser Tatsachen.

Globalisierter Grössenwahn

Was schon in den Finanz-, Computer-, Lebensmittel-, Pharma- und diversen anderen Branchen der Fall, ist natürlich auch in der Unterhaltungs- und Musikindustrie Tatsache: Ein paar wenige Multis kontrollieren praktisch den ganzen Markt. Zustande gekommen ist dies, wie eben auch in den anderen Branchen, zum einen durch Fusionen: kleine und mittlere Labels werden von den Majors aufgekauft. Dadurch sichern sich die grossen Labels ein breiteres Spektrum und können so die grösseren Massen erreichen. Des weiteren können die Majors durch die komplette globale Vernetzung Marketing-, Studio- und Vertriebspotenzial anderer Länder perfekt für sich nutzen und müssen diese Kosten quasi nur einmal ausgeben.

Positive Folgen dieser Entwicklung

Alles vorhanden

Praktisch jede Art von Musik, von früher bis heute, ist jedermann zugänglich. Die Zeiten, wo Tonträger vergriffen waren, sind spätestens seit dem digitalen Zeitalter vorbei. Und selbst die undergroundigsten Sounds sind inzwischen kommerziell promotet und können bequem online geshoppt werden.

Komplettangebot

Dem Musikfreund von heute wird nicht nur einfach ein Tonträger einer Band in die Hand gedrückt, er erhält gleich auch noch die komplette Welt dazu: Merchandising, Style, Bildwelt, Story, Videoclip, Emotionen, Kult, alles schön vordefiniert. Ist bequem. Könnte man allerdings auch in der nachfolgenden Kategorie aufführen.

Negative Folgen dieser Entwicklung

Marktübersättigung

Die Majors sind zwar stetig gewachsen, doch der Zenit ist überschritten, die Nachfrage stagniert. Und dies seit langem: bereits Ende der Siebziger Jahre bejammerte die Industrie ihre aktuelle Krise; bei der Suche nach Ursachen wurde unter anderem Marktübersättigung kritisiert. Auch wenn mehr angeboten wird, haben die Leute doch nur einen begrenzten Bedarf an Musik. Die Bevölkerung in den für die Industrie relevanten Ländern ist in den letzten 40 Jahren zwar um einen Drittel gewachsen. Ein Tag hat aber immer noch vierundzwanzig Stunden.

Zu gross um zu sterben

Die Labels sind schon längst auch mit Veranstaltern, Medien und sogar Elektronikherstellern verkoppelt, welche untereinander wiederum zu Allround-Konzernen verschmolzen sind. Natürlich ist die Rendite so zwar grösser, aber Innovationen bleiben natürlich auf der Strecke. Und wenns einen lupft, kann das eine riesige Kettenreaktion auslösen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht gehen diese Fusionen und Fast-Monopole in Richtung Aushebelung des Prinzips von Angebot und Nachfrage, und untergraben damit die freie Marktwirtschaft. Die Musik-, Medien- und Eventbranche ist inzwischen grösstenteils quasi ein «automatischer Selbstläufer mit Erfolgsgarantie». Der Publikumsgeschmack wird dabei nicht berücksichtigt oder übergangen; der eigentliche Konsumentennutzen ist also praktisch nicht mehr vorhanden. Sprich: es spielt keine Rolle mehr, was die Leute hören möchten – sie bekommen das zu hören, was der Industrie Gewinn bringt.

Konkretes Beispiel einer solchen «Selbstläufer»-Konstellation in der Schweiz:
Dem Ringier-Konzern gehört inzwischen ganz oder teilweise:
   – Radio Energy: spielt den Song einer neuen Band und macht Promo für die Band, vor und nach dem Konzert.
   – Sat 1 Schweiz: schaltet Werbung für die Band.
   – Good News: organisiert das Konzert der Band im Hallenstadion.
   – Blick, Schweizer Illustrierte, und viele weitere Printmedien: machen Promo und Werbung für die Band und fürs Konzert
      und berichten darüber, meistens auffallend positiv.
   – Ticketcorner: verkauft die Tickets fürs Konzert.

Die Band wird also, wenn alles richtig gemacht wird, das Hallenstadion füllen, auch wenn wenige Monate zuvor noch kein Mensch diese Band kannte. Natürlich kommt es schon noch ein bitzeli darauf an, welche Band, welche Musik etc. Aber nur ein bitzeli. Einfach gesagt: die Major-Labels müssen hier nur «anklopfen», ihren Wunschkandidaten präsentieren und aushandeln, und ein Startkapital geben. Dann läuft die Maschine, und bald beginnt das Geld zurückzufliessen.

Die Frage, ob neutrale Musikredaktion und objektiver Journalismus bei diesen Seilschaften noch möglich sind, stellt sich dann auch gar nicht mehr.

Wer so gross ist, kann nur schwer wieder kleiner werden. Daher klammert sich die Musikindustrie richtiggehend an alles noch irgendwie Gewinnbringende, und sei dies die richterliche Verfolgung von bösen downloadenden Teenies.

Fehlende Alternativen

Auch wenn man mit Erfolgsdruck nicht automatisch mehr gute Musik produzieren kann: Die Erfolgserwartungen der Labels an die gesigneten Künstler sind immens gewachsen. Ausserdem fehlen den Bands die Alternativen, ihre Musik zu publizieren; weil ja praktisch alle grösseren kommerziellen Labels zu den drei Majors gehören.

Einheitsbrei

Um möglichst viel Erfolgsgarantie zu haben, gehen die Labels null Riskio ein: Der Mainstream kam noch nie so als Einheitsbrei daher wie heute. Künstler und Bands werden beliebig austauschbar, die Musik selbst ist ohne Ecken und Kanten. Bestehendes wird wieder und wieder aufgewärmt und der «Kult» um eine Band so lange es geht medial künstlich aufrecht erhalten. Allzu neu klingende Kreationen haben es nicht nur schwer, sondern sind von diesen Märkten faktisch ausgeschlossen.

Gegenseitige Abhängigkeit

Dieses Nullrisiko bezieht sich nicht nur auf Musikproduktionen, sondern wegen der starken gegenseitigen Abhängigkeit auch auf die meisten Veranstalter und Medien, zum Beispiel Festivals und Radio. Auch hier wird die Frage gestellt: Wieviel Erfolg bringts? An sich nichts Neues und auch nichts Schlechtes, aber neu ist das Ausmass und auch das inzwischen absurde Angebot-Nachfrage-Verhältnis.

Ein Beispiel: Obwohl viele Festivalbesucher fast unabhängig von der gebotenen Musik so oder so regelmässig an ihre Lieblingsfestivals pilgern, und diese oft schon vor der Programmveröffentlichung einen Grossteil der Tickets verkauft haben, werden die Headliner im Programm fast ausschliesslich mit austauschbarem Mainstream besetzt. Nicht nur, weil diese Namen Zugpferde sind, sondern natürlich vor allem, weil sich die Labels diese Zuschauerzahlen (und Gewinnzahlen) nicht entgehen lassen möchten. Ob es dann daraus wirklich ein gutes Konzert gibt, ist sowieso eine andere Geschichte und eigentlich ja auch Geschmackssache.

Qualitätsverlust

Für die Musikindustrie zählt in erster Linie im Bereich Rock/Pop nicht die musikalische oder künstlerische Qualität, sondern der potenzielle Gewinn. Da ist es auch völlig egal, wenn ein Hit in völlig degenerierter Form daherkommt.

Ein Beispiel: 2004 wurden erstmals mehr Handy-Klingeltöne als Maxi-Singles verkauft und erzielten einen Umsatz von 10 % (!) des gesamten Tonträgermarktes. Ja richtig, das waren damals noch die alten polyphonen Piepsstücke.

Wenn man als Musiker sein ganzes Herzblut und viel Zeit in die Qualität der Songs, der Aufnahmen und des Mix investiert, tut sowas natürlich weh.

Gold und andere Edelmetalle

Wie so manch andere Branche hat auch die Musikindustrie ihre Mittel, sich und ihre Produkte selbst zu messen und zu feiern. Mitte des letzten Jahrhunderts begann man, erfolgreiche Musikproduktionen ab einer gewissen Verkaufszahl mit Edelmetallen auszuzeichnen.

Die Mindestgrenzen wurden über die Jahre immer wieder angepasst; in den letzten Jahren wegen des serbelnden CD-Verkaufs nur noch herabgestuft.

Aktuell (ab 2013) gibts in der Schweiz für 20’000 verkaufte Alben Platin, für 10’000 Gold (Singles 30’000/15’000). Platin bedeutet also, dass sich zweieinhalb von tausend Schweizer Einwohnern dieses Album gekauft haben (Einwohner Schweiz Ende 2012: 8 Millionen). Berücksichtigt man noch die Sprachregionen, so kommt man für einen Deutschschweizer Mundart-Act immerhin auf 4 Alben pro 1’000 Einwohner. Eine durchschnittliche Schweizer Erstauflage entspricht etwa 3’000 CDs.

Die Edelmetall-Auszeichnung haben also heute kaum eine Aussage mehr, sondern werden vor allem als Selbstbeweihräucherung und als PR-taugliches Erfolgs-Schlagwort gebraucht. Zum Vergleich: in den achtziger Jahren brauchte man für Platin in der Gesamtschweiz noch fast 8 verkaufte Alben pro 1’000 Einwohner (Einwohner Schweiz 80er Jahre: 6,5 Millionen, Platinstatus 1989: 50’000 Platten).

Veranschaulichung des zurückgehenden CD-Verkaufs und -Hypes: Obwohl es vor zwanzig Jahren noch fast doppelt so viele Käufer für Edelmetall benötigte und die CDs damals im Vergleich deutlich teurer waren, wurde in der Schweiz 1989 93x Gold und 69x Platin vergeben (= 5’775’000 CDs). 2011 waren es 67x Gold und 85x Platin (= 3’555’000 CDs); aufgeteilt auf 4 Major-Labels und 2 kleinere; Anteil Nicht-Major-Labels: 10 %).

Die Schweiz steht übrigens weltweit auf den vordersten Rängen beim CD-Kauf pro Kopf: Hierzulande kauft sich jeder Einwohner im Schnitt pro Jahr eine CD.

Wenn die Industrie für eine Produktion die ganze Marketing- und Medienmaschine in Gang wirft, erreicht selbst im Tonstudio aufgenommene heisse Luft aus dem Darmendausgang ohne weiteres den Platinstatus. Das bedeutet dann also Fr. 500’000.– Umsatz bei einem durchschnittlichen CD-Preis von Fr. 25.–. Die Band erhält davon allerhöchstens einen Fünftel, also Fr. 100’000.–.

Dieses quasi automatische Gewinnsystem funktioniert; allerdings nur, solange die Nachfrage nicht übersättigt wird – dann würde nämlich die Rechnung nicht mehr aufgehen. Die Majors haben also grosses Interesse daran, nicht zu viele Künstler aufs Mal zum Erfolg zu führen – und gleichzeitig sich auf ein paar wenige Aushängeschilder zu konzentrieren und da die volle Promotionskraft einzusetzen.

Die Feststellung, dass recht wenig Kreatives in der kommerziellen Mainstream-Musikszene herausgebracht wird, liegt also nicht daran, dass es zuwenige kreative Künstler gäbe. Aber der Markt respektive die Nachfrage ist schlichtweg zu klein für den riesigen Industrieapparat. Dies gilt für die Schweiz ebenso wie für andere Länder, einfach in anderen Dimensionen.

Erfolg in der Musikindustrie

Erfolg ist ein sehr relativer Begriff und bedeutet für jeden wieder etwas anderes. Aus der Sicht der Musikindustrie ist eine Band dann erfolgreich, wenn der aus Tonträger-, Merchandising- und Konzerteinnahmen resultierende Gewinn die Kosten für Produktion und Marketing nicht nur deckt, sondern wenn eben effektiv und möglichst langfristig etwas dabei herausschaut.

Dass dies nicht mit jedem Künstler gelingt, ist auch den Produzenten von Tonträgern klar. Da man aber nicht im Vornherein weiss, welcher Act gerade den Geschmack der Masse treffen wird, und da Kreativität etwas Unkalkulierbares ist, versuchen die Labels, an möglichst vielen verschiedenen Stellen zu graben, in der Hoffnung auf die Goldgrube.

Denn: Im Musikbusiness ist im Schnitt von 10 kommerziell vermarkteten Acts nur gerade einer erfolgreich. Eventuell zwei weitere können mit ihrem mässigen Erfolg die Kosten gerade decken, die anderen sieben sind Verlustgeschäfte. Oder anders gesagt: die eine erfolgreiche Band finanziert die anderen neun plus den ganzen Betrieb.

Erfolgswaage Musikbusiness

Dies ist zum Beispiel auch im Verlagswesen so: nur einer von zehn Buchtiteln ist erfolgreich und bringt Image und Gewinn. Der eine erfolgreiche Titel ermöglicht es den anderen neun weniger erfolgreichen Werken, überhaupt verlegt, gedruckt und promotet zu werden. Ohne die grossen Blockbuster könnten also Bücher mit kleineren Auflagen oder speziellerem Publikum gar nicht veröffentlicht werden.

Erfolgswaage Verlagswesen

Dieser Umstand ist nichts Neues; das war schon immer so.

Vorteil dieser Tatsache

Auch Künstler mit einem kleineren oder noch nicht grösseren Erfolg haben die Möglichkeit, unter Vertrag genommen zu werden und somit sich auf dem Musikmarkt präsentieren zu können, die Services der Labels zu nutzen und dabei ein wenig bekannter zu werden und noch wenigstens ein bitzeli Batzeli zu verdienen.

Nachteil dieser Tatsache

Die Erfolgserwartungen und allenfalls dann auch der Erfolgsdruck an einen Künstler sind im umgekehrten Verhältnis natürlich ebenfalls 9:1. Und 1:9 ist die Chance, dass man selbst den Jackpot zieht und eben die eine erfolgreiche Band wird. Praktisch unabhängig davon, wie gut die Musik ist, oder wieviel Herzblut man hineingesteckt hat.

Falls man zu den 90 % weniger erfolgreichen Bands gehört, sollte man sich bewusst sein, dass man vielleicht auch recht schnell aus dem Fokus von Werbung, Medien und Promotion genommen werden kann, also zwar unter Vertrag bleibt, aber promomäs­sig abgelöst wird. Denn die nächsten 90 % stehen schon Schlange. Es empfiehlt sich also, immer dran zu bleiben!

Langfristiger Erfolg

Denn es zählt auch die Dauer eines Erfolgs. Die meisten Bands verschwinden jedoch trotz kurzzeitigem grossen Erfolg nach wenigen Jahren oder sogar Monaten wieder in der Bedeutungslosigkeit. Dies ist, aller Quotenbemühungen zum Trotz, auch in der Schweiz nicht anders. Von den Schweizer Acts, die internationalen Erfolg haben und sich musikindustriemässig gesehen über viele Jahre «gelohnt» haben, gibt es in den letzten zwei Jahrzehnten eigentlich nur einen: DJ Bobo. Und der setzt inzwischen aber nur noch auf seine Shows, weil sich das für ihn selbst einfach mehr lohnt und offensichtlich auch mehr Spass macht. Andere solche langjährigen «Grössen» haben wir nicht zu bieten: selbst Gotthard ist über die ganze Zeitdauer gesehen ein Verlustgeschäft.

Viele Bands sagen: «Wir werden bestimmt bald entdeckt!»

Nein! Ihr werdet nicht entdeckt! Das ist ein weit verbreitetes (und auch von Medien gefördertes) Märchen und sitzt immer noch tief in vielen Musikerköpfen fest. Wenn man erfolgreich werden möchte und nur darauf hofft, eines Tages von einem Talentscout entdeckt, dann gefördert und zum Erfolg und Reichtum geführt zu werden, kann man auch Lotto spielen; die Wahrscheinlichkeit ist etwa gleich hoch (Hey, nichts gegen Lotto – ist nur ein Vergleich der Wahrscheinlichkeit.).

1. Es gibt auch noch tausende anderer Bands, die das auch wollen oder davon träumen. Warum zum Geier sollte zufällig ausgerechnet euer Traum in Erfüllung gehen?

2. Einige hunderte dieser anderen tausenden Bands haben bereits bei einem Label einen Tonträger produziert und veröffentlicht. Diese sind euch also einen deutlichen Schritt voraus.

3. Einige dutzende dieser anderen hunderten Bands sind zehnmal besser als ihr.

4. Die «Schubladen» der Labels sind rammelvoll mit guten Bands. Auf euch hat niemand gewartet, und ihr habt auch niemandem gefehlt. Es ist nicht das Problem, dass es zu wenig gute und kreative Musiker gäbe. Es ist die Situation, dass der Band-Olymp einfach nur eine begrenzte Anzahl Stehplätze hat.

5. Auch wenn es Talentscouts tatsächlich gibt: erstens sind sie rar, vor allem hierzulande bei unserem Mini-Musikmarkt. Und zweitens werden sie sich ganz sicher nicht als erstes in die dekorierte Mehrzweckhalle eures Kaffs verirren, wo ihr gerade an der Schülerdisco spielt. Nein, sie suchen natürlich Locations auf, wo regelmässig Musik gespielt wird, wo also die Bands zumindest mit einem semiprofes­sionellen Booking schon mal Kontakt hatten.

Der Wille zählt

Erfolg muss man wollen. Und man muss etwas dafür tun. Es ist wie vieles andere im Leben auch, zum Beispiel ein guter Job: es reicht nicht, von ihm zu träumen; man muss ihn wirklich und unbedingt wollen, und dieses Ziel auch verfolgen. Erst dann ergibt sich überhaupt die Chance, dass man es eines Tages erreichen kann. Und wie wir alle wissen, hat man aber zu keiner Zeit eine Garantie dafür. So läufts im Leben eben.

Ist ja auch einleuchtend: die Labels haben natürlich Interesse daran, in eine Band zu investieren, die motiviert und auch interessiert am ganzen Prozess ist. Denn so ein professioneller Tonträger inklusive der kompletten Promotion entsteht halt nicht einfach von einem Tag auf den anderen. Das ist Arbeit. Viel Arbeit. Ausserdem investiert das Label sein gutes Geld in dieses Projekt. Und natürlich bedeutet das für die Band, dass sie ein zuverlässiger und langfristiger Partner für das Label sein müssen; eine Band, bei der ständig die Mitglieder wechseln, oder die nie zu den abgemachten Terminen erscheint, will niemand promoten. Natürlich ist es ganz läss, wenn auch schon mal gute Songs da sind, keine Frage. Aber Erfolg und musikalische Qualität müssen sich nicht zwingend decken. Musikalische Qualität kann man haben, musikalischen Erfolg muss man wollen.

Was geschieht mit Musikern, die dieses Ziel nicht ganz so konsequent verfolgen, sondern eher «zufällig» Stars werden, sieht man im Extremfall schön an den Eintagsfliegen oder Retortenbands: kurzzeitig hochgepusht und danach in der Versenkung verschwunden. Wer sich nicht langsam und mit persönlichem Engagement auf alle schönen und unschönen Seiten des Ruhms einstellen kann, kann eben dann nicht damit umgehen, wenn der Erfolg plötzlich da ist (Hey, was passiert mit dem grössten Teil der plötzlichen Lottomillionäre? Voilà.).

Überflüssig zu erwähnen, dass diese Grundregel eigentlich für sämtliche kreativen oder ruhmreichen Podestplätze gilt (Supermodel, Filmstar, Schriftsteller, Künstler etc.). Aber ja, es war ein schönes Märchen.

Und zum Glück ist dessen Happy-End nicht für alle Musiker gleich wichtig: sie haben Spass am Jetzt und spielen, was das Zeug hält, auch wenn sie niemals einen Number-One-Hit schreiben werden. Zum Glück, denn sonst wären die Konzerthallen leer.

Die starren Musikpreise und ihre Nachteile

Der Musikmarkt ist eigentlich kein echter Markt. Auf einem Markt spielt immer auch die Dynamik von Angebot und Nachfrage. Gerade bei Produkten mit unterschiedlich hohen Herstellungskosten sieht daher der Endkonsument auch: unterschiedliche Preise. Beliebtes und aufwändig Produziertes ist in der Regel teurer als Billigproduktionen, die kein Mensch will. Normal, oder?

Nicht so im Musikmarkt: eine CD kostet immer etwa gleich viel. Ganz egal, ob es sich dabei um eine international erfolgreiche oder nur eine regionale Band handelt. Egal, wie aufwändig die CD produziert ist, egal, wieviele Songs auf der CD zu finden sind, egal, wie gefragt die Band im Moment ist. Manchmal gibt es zwar CD-Aktionen oder günstige Restpostenverkäufe, aber Neuveröffentlichungen haben untereinander höchstens einen Unterschied von ein paar wenigen Franken im Verkaufspreis. Bei den Onlineshops ist das noch extremer: JEDER Song kostet IMMER gleich viel.

Weshalb ist das so? Eine eindeutige Begründung oder Herkunft lässt sich leider nicht ausfindig machen. Offenbar hatte sich zu irgendeiner Zeit ein Preis eingependelt, zum Beispiel durch gegenseitige Absprachen; und dies wurde dann so beibehalten. Preisabsprachen bei Herstellern von Konsumgütern sind keine Seltenheit. Allerdings: dort betrifft es sich meistens einige wenige oder spezielle Produkte, aber nicht grade das ganze Sortiment! Ist egal welche Musik denn immer gleich viel wert? Der positive Effekt ist dabei, dass bessere Produktionen auch für ein kleines Budget erschwinglich bleiben. Und dass auch weniger professionelle Produktionen mindestens preismässig auf gleicher Augenhöhe sind mit allen anderen. Aus markwirtschaftlicher Sicht ist diese Vorgehensweise aber eher fragwürdig.

Wenn es anders wäre

Würden denn aufwändige CD-Produktionen nicht viel eher rentieren, wenn sie nicht ständig unter dem Preis verkauft würden? Und würde eine unbekanntere, einfach produzierte Band nicht viel eher gehört werden, wenn ihre Scheibe günstiger zu erwerben wäre? Natürlich wäre das so! Dann wäre nämlich der Preis auch wenigstens eine gewisse reale Qualitäts- oder Beliebtheitsaussage. Die zahlreichen Enttäuschungen beim Kauf eines nur mässig produzierten Albums würden dann weniger werden. Und die teureren Alben würde man umso mehr wertschätzen. Ein aktueller Hype um ein aufwändig gepushtes Album würde dann effektiv auch mehr Gewinn bringen, und das Billigalbum dank Schnäppchenjägern auch mehr Absatz finden.

Nicht vergessen: wir leben nicht mehr in dem Jahrhundert, wo man sich die Zeit nahm, im Plattenladen ein Album probezuhören. Heute sind Musikkäufe reine Spontankäufe, erst recht seit den Onlineshops. Kurz anhören, klicken, fertig. Ausserdem hat sich die Art des Konsumierens von Musik massiv verändert: Früher nahm man sich die Zeit, um sich einen Tonträger bewusst anzuhören; heute wird Musik eher nebenbei konsumiert. Im Vergleich zu noch vor 20 Jahren sagt also ein Kaufentscheid heute deutlich weniger aus über die musikalische Qualität oder das Gefallen des Konsumenten, dafür umso mehr über das erfolgreiche Marketing. Und da die Preise ja eben immer praktisch gleich sind, ist somit die Kostenwahrheit dahin. Und die Qualitätsaussage eines Tonträgers aufgrund seines Erfolgs: nahe bei Null. Der durchschnittliche Musikkonsument hat keine Ahnung vom ganzen Prozess, der hinter einer Songproduktion steckt, und geht einfach davon aus, dass jedes erhältliche Stück auch professionell produziert wurde. Wie wir wissen, gibt es da aber riesige Unterschiede.

Das Ignorieren der Nachfrage

Die Leute sind sich eigentlich gewohnt, für unterschiedliche Leistungen unterschiedlich viel zu bezahlen, und würden dies ohne weiteres auch im Musikmarkt akzeptieren. Und das Konsumverhalten würde dann auch viel direkter die Nachfrage spiegeln, worauf die Industrie entsprechend reagieren könnte. Der Markt würde insgesamt viel mehr belebt werden, wie auf einem «echten» Markt eben. Der jetzige Umstand trägt aber dazu bei, dass die Industrie ausser den reinen Absatzzahlen kein einziges reales Feedback hat zur tatsächlichen Beliebtheit eines Produkts, oder ob dessen Endpreis gerechtfertigt ist. Was dazu führt, dass die tatsächliche Nachfrage der Konsumenten in einem hohen Masse ignoriert wird.

Diese seltsam anmutende Preispolitik lässt sich bei kulturellen Konsumgütern nur noch finden beim Filmbusiness: Kinoeintritte und DVDs/Blurays kosten auch immer etwa gleich viel – ganz egal, ob es sich um eine 200-Millionen-Dollar-Hollywood-Produktion oder einen Low-Budget-Independent-Streifen handelt. Bei allem anderen sind wir uns gewohnt, für unterschiedliche Angebote auch unterschiedlich viel zu bezahlen: Bilder, Kunstwerke, Theater, sogar Konzerteintritte! Hey, und Bücher! Man muss sich jetzt mal vorstellen: JEDES Buch würde IMMER 25 Franken kosten. Egal, ob 400 schön gebundene Seiten hochwertiger Literatur, oder ein 75-seitiger in China gedruckter Schundroman. Ein Witz, oder? Ist aber genau der Fall beim Tonträgermarkt.

Eine Ausnahme sind die Plattenbörsen: dies sind «echte» Märkte. Daneben gibt es auch noch Independent- und Occasionsläden, welche ihre Preise flexibler gestalten. Allerdings sind das eher Nischenmärkte für Fans; diese Märkte sind nicht auf den Durchschnittskonsum ausgerichtet.

Veränderungen geschehen, aber nicht automatisch

Tatsache ist, dass die Musikindustrie durch diese jahrzehntelangen starren Preise letztendlich selbst nicht unbedingt flexibler wird, und sich einer tatsächlichen Nachfrage oder neuen Situationen eben meistens nicht anpassen kann. Was natürlich langfristig gesehen einen Zusammenbruch dieses Markts begünstigt oder sogar bewirkt. Und genau das geschieht im Moment und wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Denn es gibt bereits Alternativen: Vielversprechender sind beispielsweise Anbieter, wo der Künstler oder das Label SELBST den Verkaufspreis oder die Spendenhöhe festsetzen können. Diese nun stetig bekannter werdenden Angebote werden dem starren Tonträgermarkt den Rang ablaufen. Aber erst, sobald mehr und mehr neue Künstler auch auf diese neuen Möglichkeiten des Publizierens umsteigen; die klassische Art (Suisa-lizenziert/Major-Labels) ist nämlich nach wie vor auf den fixen Tonträgerpreis ausgerichtet.

Pop

Der Pop ist für die Major-Musikindustrie der wichtigste, da gewinnbringendste Musikstil. Wobei auch stilmässige Variationen möglich sind; die Bezeichnung «Pop» bezeichnet vielmehr die potenzielle Massenmarkttauglichkeit.

Eine kleine Vorgeschichte

Popmusik, also populäre Musik, gab es eigentlich schon immer in der einen oder anderen Form, allerdings nicht in der verbreiteten Variante, wie wir sie heute kennen, sondern regional beschränkt. Vom Mittelalter an gab es Musikstücke auch mit Notensatz, wodurch sich Musik leichter nachspielen liess und nicht mehr nur von überlieferten und gehörten Traditionen abhängig war. Allerdings mussten bis ins 19. Jahrhundert Notenblätter immer noch von Hand abgeschrieben werden, da der Bleisatz dafür zu kompliziert war. Erst danach konnten sich einzelne Stücke und Melodien schnell über weite Gebiete verbreiten. Ende des 19. Jahrhunderts waren es dann vor allem Theater und Variétés, wo Popmusik zu hören war. Dann kam der Tonträger und der Rundfunk, und übernahmen anfangs des 20. Jahrhunderts diese Rolle.

Wer hats erfunden?

Die Popmusik, wie wir sie heute als global standartisierten Einheitsbrei kennen, entwickelte sich in den USA und wurde auch fortwährend von dort aus geprägt. Dazu brauchte es vor allem zwei Voraussetzungen: erstens eine weit umfassende und einheitliche Infrastruktur sowie zwecks Einfachheit, Gewinnorientierung und sozialer Stabilität das Bestreben nach einer gewissen kulturellen Vereinheitlichung. Dies war in den USA nach der vollständigen Erschliessung des Westens und nach ihrem Bürgerkrieg gegeben. Die zweite Voraussetzung war: etwas Neues. Die Einwanderer aus Europa waren musikalisch immer noch stark mit ihren Heimatländern verwurzelt und somit uneinheitlich ausgerichtet. Nicht so die schwarzen aus Afrika eingeschleppten Plantagenarbeiter: Ihnen wurde das Singen und Musizieren in ihrer Heimatsprache verboten. Sie waren gezwungen, sich neu an der englischen Sprache und der ursprünglich europäischen Musik zu orientieren. Was sich dann natürlich mit ihren eigenen Heimatrhythmen und -melodien vermischte. Der erste daraus so entstandene neue «Stil» war der Ragtime Ende des 19. Jahrhunderts. Danach folgten der Jazz und der Blues, welche den Grundstein legten für die Harmonien und Rhythmen, auf die der grösste Teil der heutigen Popmusik aufbaut.

Da diese Musikstile neu waren, wurden sie auch viel dankbarer von der ganzen Bevölkerung unterschiedlicher Herkunft aufgenommen und konnten sich so schnell verbreiten, unterstützt durch die wachsende Beliebtheit der neu erfundenen Tonträger. Unter anderem als «Gegenmassnahme» als Reaktion auf die Beliebtheit von Negermusik wurde ab den zwanziger Jahren die weisse Volksmusik staatlich gefördert, namentlich diejenige mit irischen Einflüssen: später wurde dieser Stil «Country» genannt; und hatte dadurch ebenfalls einen grossen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Pop- und Rockmusik.

Obwohl gleichzeitig auch in Europa Schallplatten, Abspielgeräte und Rundfunk immer mehr Verbreitung fanden, gab es hier diese Homogenität nicht. Ausserdem waren die Länder Europas mit den beiden Weltkriegen grade ziemlich beschäftigt. Was also dazu führte, dass der «Pop» in den Vereinigten Staaten entstand, und durch diese Vorreiterrolle und die nach wie vor riesige, homogenisierte Bevölkerungsmasse auch heute weiterhin dominiert wird.

Noch ein Detail zum Inhalt des Pop: Auch wenn einzelne Ausnahmen auch politischen oder gesellschaftlichen Tiefgang aufweisen, und andere wenige von gar nichts oder nur von sich selbst reden: 90 % der Popsongtexte erzählen von ersehnter, gelebter oder verlorener Liebe.

Den Pop als Massenphänomen schliesslich gibt es seit den fünfziger Jahren. Die Weltkriege waren vorbei, nun gab es auch für die globale Verbreitung kein Halten mehr. Der erste «König» des Pop beziehungsweise Rock’n’Roll wird von seinen Fans heute noch so genannt. Im nächsten Jahrzehnt folgte dann die erste «Boyband» mit Massenhysterien, diesmal aus England. Den Rest kennt man ja.

Der Totenkult der Musikindustrie

Totenkult in der Musikindustrie

Es gibt nur etwas, das für die Musikindustrie mehr wert ist als ein erfolgreicher Künstler: ein toter erfolgreicher Künstler.

Das übermässige Verehren von bereits verstorbenen Künstlern findet sich in allen Bereichen der Kunst wieder: Maler, Schauspieler, Dichter etc. In kaum einem anderen Bereich wird das jedoch so ausgiebig zelebriert und gepusht wie aktuell im Musikbusiness.

Erlöscht ein aktuell oder vor längerer Zeit erfolgreiches Sternchen, erhöht sich der Verkaufswert der Songs für die Industrie schlagartig um ein Vielfaches. Praktisch unabhängig davon, wie lange schon der Act nicht mehr erfolgreich war oder ob er am Schluss nur noch Schrott produziert hat. Ein Welthit genügt. Je mehr, je besser, und wenn das Ganze noch mit unzähligen Skandalen zu Lebzeiten und einem tragischen, möglichst frühzeitigen Tod gewürzt ist, ergibt das die maximale Ausbeute. Und eine lang anhaltende, denn der Kult lässt sich ja nun fast beliebig lange aufrechterhalten; mindestens so lange, wie die zeitgenössischen Fans noch leben.

An sich ist das Huldigen und Reinwaschen von Verstorbenen etwas durchaus Menschliches, aus Respekt vor dem Tod und dem Toten. Die Ausmasse, mit der die Industrie (und natürlich auch alle Fans) die Dahingeschiedenen quasi nochmals auferstehen lassen, bedeuten allerdings vor allem eines: Geld, sehr sehr viel Geld. Das freilich nur noch den Erben des Verstorbenen etwas nützt, aber das ist auch ein Entgelt für die öffentlichen Blossstellungen. Wirklich daran verdienen tun die Labels, wo der Künstler unter Vertrag war und vielleicht sogar seine Songrechte deponiert hat.

Praktisch: tote Künstler sind quasi heilig und unantastbar; damalige Kritik vergessen, und aktuelle Kritik als pietätlos verschrien. Die Nachricht des Todes durchzieht ohne grösseres Zutun sämtliche Medien; nicht selten hört man das erste Mal einen Namen, wenn dieser stirbt. Es werden nochmals silberne Best-Ofs herausgegeben und Gold-Sammel-Editions, und noch unveröffentlichte Aufnahmen bis hin zum krächzendstem Räusperer werden aufbereitet und erreichen sofort Platinstatus. Und die Nachfrage ist da – tatsächlich verehren manche Fans ihre Legenden gottgleich. Der Totenkult der Musikindustrie hat sehr viel gemeinsam mit demjenigen der katholischen Kirche vom Mittelalter bis in die Neuzeit. Was vor allem eines zeigt: ihren grossen Einfluss und ihre Macht über die Emotionen. Siehe dazu auch das folgende Kapitel.

Was bringts dem aktuellen Musiker? Nichts. Dem vor einiger Zeit erfolgreichen, aber jetzt im Drogensumpf und im Schuldenberg steckenden Musiker? Auch nichts. Dem toten? Erst recht nichts.

Das Musikbusiness als moderne Religion

Der Heiligenkult um tote Protagonisten ist nicht die einzige Parallele; viele Erscheinungen und Verhaltensweisen im Musikzirkus sind denen der Kirche sehr ähnlich. Tonträger, Konzerte und Musikkonsum als Ganzes sind eine Art neue Religion und haben im 20. Jahrhundert der hiesigen Kirche das Publikum abgegrast. Die Musikindustrie hat sich bewusst oder auch unbewusst vieler ihrer Methoden bedient.

Dies hat nichts zu tun mit der ausgeübten Religion oder eines jeden einzelnen persönlichen Glaubens an sich. Die gegenseitige Beziehung und das Verhalten von Akteur und Publikum hingegen sind in vielerlei Hinsicht identisch. Diese Tatsache hat im Wesentlichen nicht viel zu bedeuten und muss auch nicht gewertet werden, aber sie zu begreifen hilft, gewisse Begebenheiten in der Musiklandschaft zu verstehen. Die Kirche ihrerseits war sich der einflussreichen Kraft von Musik schon seit jeher bewusst und hat diese auch entsprechend eingesetzt.

Versetzt man sich wenige Jahrhunderte zurück, wird schnell klar, dass die Kirche lange eine Art Monopolstellung im Bereich Musik innehatte. Wo wurde denn Musik gespielt? Ab und zu an Festen und Jahrmärkten von fahrenden Musikern und Sängern, die aber oft auch einen zweifelhaften Ruf genossen. Rege und gelebte Musikvereinskultur, wie wir sie heute kennen, gab es nicht; die Leute waren mit ihrem Überleben eigentlich genug beschäftigt, und Instrumente waren unerschwinglich teuer. Selbst gespielte Musik wurde auf moderatem Niveau vorgetragen, und auch hier nur sporadisch und vor allem zu festlichen Anlässen. Die «Wurzeln» der Schweizer Volksmusik, ihrer Instrumente und Lieder lassen sich nicht viel mehr als 200 Jahre zurückverfolgen. Einen hohen Präsenzwert genoss Musik zwar immer schon im Söldner-/Militärwesen; aus den Blasmusikkappellen entstanden dann im Verlauf des 19. Jahrhunderts auch die privaten Musikvereine. In seinem Alltag war jedoch zuvor dem «Normalbürger» Musik weder zugänglich noch präsent. Nicht so in der Kirche: dies war während langer Zeit der einzige Ort, wo regelmässig Musik zu hören war und sogar selbst mitgesungen wurde.

Die Kirchenorgel spielt dabei eine Schlüsselrolle. Dieses Instrument war zwar gross, immobil und aufwändig zu bedienen, konnte aber durch die vielfältigen Kombinationen verschiedener Register jeweils die passende Stimmung erzeugen. Es war ein eigentliches Multifunktionsinstrument, quasi der Synthesizer der damaligen Zeit. Nicht selten wird deshalb die Orgel als «die Königin der Instrumente» bezeichnet. Und noch etwas: sie war lauter als die meisten anderen Instrumente.

Vorne der Altar als Bühne, dahinter die Orgel als Lautsprecherbox mit eindrücklicher Wucht, schrillen Höhen und durchdringenden Bässen, hoch erhoben auf der Kanzel der Pfarrer, der mit viel Pathos über Gott und eben damals auch die Welt predigt. Durchstrukturierte Abläufe und Riten, Mitsing- und Mitmachgelegenheiten, Dresscode, Stil, Symbole. Das Ganze in einem mehr (katholisch) oder weniger (evangelisch) prunkvoll eingerichteten, aber immer überaus grossen, manchmal sogar gigantischen Saal. Und nach spätestens eineinhalb Stunden ist die Show vorbei.

Das Publikum kommt in Scharen und macht sich dafür schick – die Gelegenheit fürs Sehen und Gesehen werden. Man lässt sich in der Masse beschallen, berieseln und begeistern und versinkt in Demut. Der Gottesdienst ist also ein Rockkonzert? Nein, umgekehrt, die Kirche gabs ja schon vorher. Aber heutige Grosskonzerte haben diesbezüglich eben sehr viele Parallelen. Und Tonträger? Sie sind für viele Hörer die heutigen Bibeln: unzählige Male gehört, gehegt und gepflegt, gottgegeben, unantastbar, verehrt. Den Künstlern selbst wird hierzu nicht selten eine Art Heiligenrolle zugesprochen. Ihre Kreativität und Selbständigkeit scheint unbegrenzt, und um sie herum gibt es Neuigkeiten, Gerüchte, Skandale, Hypes, Kulte und Emotionen. Das englische «Fan» bedeutet denn ja auch nichts weiter als «Anhänger». Viele Fans «pilgern» regelrecht an die Konzerte «ihrer» Band und reisen ihnen bisweilen gar um die ganze Welt nach. Sehr ausgeprägt beobachten lässt sich dieses Verhalten bei Anhängern von progressiver, also komplexer Musik; grundsätzlich finden sich aber bei jedem Musikstil die entsprechend eingefleischten Fans.

Das Musikbusiness ist damit nicht alleine. Namentlich Unterhaltungsmedien wie Film und Fernsehen bedienen sich ähnlicher Effekte: der Krimiabend zum Beispiel ist für viele als Termin heiliger als der Sonntagmorgen. Ungeachtet des Inhalts: es geht um die Show – die Leute wollen das. Sie möchten unterhalten werden, möchten etwas geboten bekommen. Der Inhalt ist persönliche Geschmacksache, aber Form und Präsentation entscheiden darüber, wie populär etwas tatsächlich wird. Da die Kirche gerade bei der Form (und bisweilen auch beim Inhalt) nur eher träge auf Veränderungen reagiert, wurde sie in den letzten paar Jahrzehnten von den Unterhaltungsmedien bezüglich Popularität überholt, welche schon längst das Zepter des Showeffekts übernommen hatten. Für die Tatsache der allgemein beklagten sinkenden Kirchgängerschaft ist dies ein entscheidender Faktor.

Aber hier gehts auch gar nicht darum, die sinkende Popularität der Kirche erklären zu wollen. Sondern zu erwähnen, dass die Musik- und Unterhaltungsindustrie sich der möglichen religiösen Wirkung ihrer Produkte meistens durchaus bewusst ist. Und dieses Wissen oft auch sehr gezielt einsetzt. Denn ein Künstler, der «Kultstatus» erreicht, ist natürlich das Beste, was der Industrie passieren kann.

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veröffentlicht am 26. Juli 2013

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